06.04.2020, 00:31
Zitat:Liebe Hobby-Virologen,
ich habe die Schnauze voll von Euch – und ich halte Euch langsam für gemeingefährlich.
Ich fand Euch ja noch lustig, als Ihr alle 80 Mio. Bundestrainer wart. Natürlich ist es spaßig, alles besser zu wissen als der Jogi und sich nachher noch bestätigt zu fühlen, wenn denn der Spieler, den ihr "nur über Eure Leiche" aufgestellt hättet, auch wirklich nen Grottenkick abgeliefert hat. "Ich habs ja direkt gesagt" – und dass der, den ihr stattdessen aufgestellt hätte, mindestens zwei Hattricks pro Halbzeit gemacht hätte, konnte Euch ja keiner widerlegen.
Als Ihr noch 80 Mio. Bundeskanzler wart, fand ich Euch schon nervig. Natürlich wäre es Euch lieber gewesen, "die Merkel" hätte in vielen Sachen nicht nur EINE Entscheidung getroffen, sondern 80 Mio. Entscheidungen. Wäre für jeden was und das richtige dabei gewesen. Und wäre die Entscheidung auch nur in einer Nuance anders gewesen, als Ihr es Euch gewünscht hättet, hieß es gleich wieder "Die da oben machen was sie wollen und hören gar nicht mehr aufs Volk" – geschenkt...
Aber jetzt wird es endgültig spooky! Ich wette, 99,9xxx % von Euch, hatten vor dem Ausbruch der Covid19-Pandemie noch nie Berührungspunkte mit Viren – von dem eigenen Schnupfen und dem, was Kaspersky Euch auf den Bildschirm rotzt, mal abgesehen. Aber jetzt könnt Ihr den Verlauf der Pandemie, die Gefährlichkeit des Viruses an sich, die Aussagekraft der statistischen Sterberate, Ansteckungsrate und -wahrscheinlichkeit und durchschnittlichen Alters der "Conora-Toten" exakt beurteilen und vorhersagen und daher auch mit pfeilgenau-tödlicher Gewissheit sagen, welche Maßnahmen richtig, falsch, übertrieben, zu lasch, zu früh, zu spät, zu feucht, zu trocken, zu bunt, zu fröhlich waren... alles!
Killer-Argument 1:
"Die sind doch nur Politiker, der Gesundheitsminister ist Bankkaufmann – die haben ja alle keine Ahnung. Da verstehe ich ja mehr vom Virus als Dauer-Grippe-Opfer". Mal in einer hellen Sekunde darüber nachgedacht, dass die ihre Entscheidungen weder nach ihrem Bauchgefühl nach einem opulenten Essen, noch nach dem Fieberthermometer oder dem Luftdruck treffen, sondern im Hintergrund hunderte Experten haben? Und dass uns um die, zum Beispiel von der Berliner Charité oder dem Robert Koch-Institut, mehr als die halbe Welt beneidet? Euer Ruf als "Dr. Virus" scheint hingegen in der Welt schmählich unterschätzt!
Killer-Argument 2:
"Das steht im Internet. Ihr müsst Euch informieren. Das wird uns verschwiegen. Das darf man ja nicht sagen."
"Das steht im Internet" ist ein noch beschisseneres Argument als früher "Was in der Zeitung steht, ist wahr." Heute kann jeder Hinz und Kunz und Furz seine Meinung im Internet breittreten, sich den Anschein geben, als sei er die Konifere .. pardon: Koryphäe schlechthin und findet unter 7 Milliarden Menschen auch locker ein paar (hundert)tausend Anhänger. Das könnt Ihr auch! Das sagt also NIX. Und um einzuschätzen, wie seriös derjenige ist und welchen Ruf er hat, müsste man sich wiederum mit der Materie auskennen. Ach ja, ich vergaß, das macht Ihr "Dr. Virus"se ja ebenfalls perfekt.
Noch haarsträubender ist das Argument "Das wird uns verschwiegen! Das darf man ja nicht sagen!". Denkt mal scharf nach: Alleine die Tatsache, dass IHR Auserwählten dieses obskure YouTube-Video oder was auch immer gefunden habt, ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass man es sagen darf und dass es auch niemandem verschwiegen wird. OK, Euer Status als Dr. Virus lässt Euch natürlich glauben, dass Ihr die einzigen seid, die es gefunden habt und die wahren Experten und "die da oben" zu doof sind, eine Suchmaschine zu bedienen oder gerade mal gezielt bei Russia Today vorbeizusurfen. Vielleicht kennen die es ja sogar und haben es längst als den Schwachsinn entlarvt, der es eigentlich ist?!
Killer-Argument 3:
"Du bist unkritisch! Du glaubst alles, was man Dir sagt"
Nein, bin ich sicher nicht. Ich hinterfrage – aber ich hinterfrage auch, WAS sich zu hinterfragen lohnt und wovon ICH überhaupt Ahnung habe und was ich einschätzen und hinterfragen kann. Wenn es um Essen und Trinken geht, hinterfrage ich gerne, was mir jemand anderes sagt, denn davon hab ich auch ein bisschen Ahnung. Wenn es um Musik oder Filme geht, erst recht. Wenn es aber um Pandemien und die Entwicklung von Viren geht, bin ich neidlos bereit anzuerkennen, davon habe ich keinen blassen Schimmer. Also beschränkt sich mein kritisches Hinterfragen darauf, zu schauen, WEM ich traue. Und ich habe keinen Grund an den von der Bundesregierung beauftragten Experten zu zweifeln. Dann macht es aber auch keinen Sinn, jede einzelne Entscheidung und Aussage von ihnen wieder zu hinterfragen – denn dann sind wir wieder bei der Grundvoraussetzung: Ich habe keine Ahnung von Pandemien.
Killer-Argument 4:
"In einer Demokratie muss man eine eigene Meinung haben und die auch sagen dürfen und andere müssen sie ernst nehmen"
Da steckt schon ein Grundfehler drin, man DARF eine eigene Meinung haben, aber niemand MUSS sie sich anhören. "Man" hat kein Recht darauf, seine Meinung auf Seite 1 der Bild-Zeitung oder als Gast-Kommentator der Tagesthemen zu äußern. Ebenso hat man kein Recht darauf, in meinem Freundeskreis zu sein, damit ich mir die Virologen-Ergüsse anhören muss. Meinungsfreiheit heißt, dass niemand Eure Meinung unterdrückt. Und auch da ist der Beweis ja schon angetreten, dass das nicht passiert, denn sonst dürftet Ihr Hobby-Virologen Euch nicht endlos ausbreiten.
Zur Meinungsfreiheit gehört übrigens auch das Recht zu schweigen. Und da sind wir wieder bei Essen und Trinken, Musik und Filmen. Darüber bilde ich mir gerne eine Meinung. Über Dinge, von denen ich nichts verstehe, aber nicht.
Was kommt als nächstes? Beginnt Ihr beim nächsten Einstieg in ein Flugzeug eine heftige Diskussion mit dem Piloten "Ich bin aber der Meinung, dass die Tragflächen falsch konstruiert sind, Sie weniger Kerosin mitnehmen sollten und bitte auch beim Start nur halb so viel Schub geben" und beharrt darauf, dass Eure Meinung Ernst genommen und in die Meinungsbildung des Piloten mit einbezogen wird? Auch er wird sich von Euch dasselbe wünschen, wie ich mir gerade: Bei Ahnungslosigkeit, einfach mal Klappe halten.
Killer-Argumente 5, 6, 7 ff.:
"Aber das Durchschnittsalter der Corona-Toten ist nicht höher als das Durchschnittsalter der Gesamtbevölkerung – das beweist, dass niemand an Corona stirbt"
"Die Sterblichkeitsrate an Corona/Covid19 ist nicht höher als die einer normalen Grippe."
"Die Schäden für die Wirtschaft sind für die Menschen schlimmer als die Gefahr, an Corona zu sterben"
Gegen solche Argumente empfehle ich Erstsemester-Vorlesungen in Statistik, Biologie – oder Menschlichkeit! Und wenn diese Grundlagen schon nicht sitzen, ist der Job als Virologe bei Euch völlig verfehlt.
... und das letzte, allumfassende Killer-Argument N:
"Corona gibt es gar nicht! Das ist alles nur Teil einer großen weltweiten Verschwörung! Unsere Politiker wollen uns mundtot machen, unsere Wirtschaft am Boden sehen, um das Volk auszurotten, elmar-hörig zu machen und gegen hunderttausende syrische Flüchtlinge auszutauschen."
Gegen solche Argumente hilft dann einmal kurz nachzudenken und sich die Frage zu stellen "Was genau hätten 'die Politiker' davon (und wieso ziehen plötzlich Politiker aller Parteien und aller Nationen scheinbar an einem Strang im Kampf gegen die gesamte Menschheit? Sind da doch Aliens in der Merkel-Maske im Einsatz?)"
... oder der goldene Alu-Hut. Xavier Naidoo leiht ihn Euch sicher gerne – oder ihr findet in einem seiner nächsten Videos Zuspruch und Bestätigung!
Liebe Hobby-Virologen, bitte gebt auf. Es ist nicht mehr schwer erträglich – es ist unerträglich. Und nein, Ihr seid nicht die einzig vernunftbegabten klar denkenden Wesen auf diesem Planeten, Ihr seid nicht die Retter der Welt und "Dr. Virus" him-/herself –
Ihr SEID das Virus!1!1!1
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Da ist mir was aus dem Ruder gelaufen, tut mir leid.