28.04.2022, 16:41
(28.04.2022, 12:39)Martin schrieb: Es ging um Kränkungen und Demütigungen. Und hämische Meldungen wie "Macron habe seine Mutter geheiratet" fällt in meiner Welt in diese Kategorie.
Oder nehmen Sie von mir aus ein anderes Beispiel: Erdogan hat (zu Recht) kräftig einstecken müssen, aber deswegen auch keinen Krieg entfesselt. Ich bin sicher, Sie verstehen was ich verdeutlichen will.
Da liegen Sie leider falsch mit Ihrer Vermutung.
Zwischen Nato-Staaten führt man keinen Krieg, schon gar nicht wegen persönlicher Beleidigungen.
Im konkreten Fall handelt es sich um Sicherheitsinteressen eines Blockbündnisses einerseits und eines großen Landes andererseits, Nato und Russland.
Heute erschien auf GMX ein Interview mit Kohls außenpolitischem Berater Teltschik.
Hier ein paar Auszüge:
Zitat:Welche Motive treiben Putin an?
Das können wir leider alles nur vermuten, denn seine offiziellen Erklärungen sind von einer Art missionarischen Sendungsbewusstsein geprägt, so dass man nicht weiß, wie ernst sie gemeint sind. Mit Sicherheit hat Russland ein Interesse, dass die Ukraine nicht Mitglied der Nato werden kann, dass sie neutral ist und militärisch für Russland keine Bedrohung darstellt, dass die bereits besetzten Gebiete Krim und Donbass einen pro-russischen Status bekommen. Das war auch Bestandteil des Minsker Abkommens. Und man muss natürlich auch die Ukraine fragen, warum sie beim Minsker Abkommen so wenig beweglich war.
(...)
Was ist passiert, dass es jetzt, 21 Jahre nach der Bundestagsrede, zu dieser Eskalation kommt?
Passiert ist, dass eine Reihe von ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes Mitglied der Nato wurde. Aus meiner Sicht hätte man darüber nachdenken müssen, ob nicht der vernünftigere Weg gewesen wäre, erst die Mitgliedschaft in der Europäischen Union anzustreben. Dort hätte es auch eine Sicherheitsgarantie gegeben, denn jedes EU-Mitgliedsland ist im militärischen Krisenfall verpflichtet, dem Bündnispartner zur Seite zu stehen. Das gibt’s nicht nur in der Nato. Gleichzeitig hätte man die Einrichtung einer europäischen Freihandelszone verfolgen sollen, die Russland einbindet.
(...)
Die Versäumnisse liegen also beim Westen?
Sie liegen auch beim Westen, das ist meine Meinung. Das hat auf russischer Seite immer auch zu Enttäuschungen geführt. Aber natürlich muss man hinzufügen, dass die Russen ihrerseits Anlass dazu gegeben haben, dass man nicht begeistert auf sie zugegangen ist. Es war, wie immer in der Politik, eine Frage des "Give and Take" – hilf du mir, dann helfe ich dir.
Sehen Sie aktuell irgendjemanden, der für die Seite des Westens überhaupt noch auf dieser Ebene mit Putin verhandeln könnte?
Ja, ich sehe jemand, die Person ist aber nicht mehr im Amt: unsere ehemalige Bundeskanzlerin.
Warum trauen Sie Angela Merkel das zu?
Sie war die Einzige im Westen, die Putin jederzeit anrufen und mit ihm sprechen oder ihn treffen konnte. Leider haben wir nie erfahren, was genau sie im Einzelnen mit ihm besprochen hat. Aber sie hat zum Beispiel 2015 das Minsker Abkommen erreicht (...)
Das Problem war bis zum Schluss, dass sich alle Seiten nicht an dieses Abkommen gehalten haben, auch die Ukrainer nicht.
GMX
Teltschik hält auch das derzeitige harsche Urteil vieler Kommentatoren und Politiker, dass die Ostpolitik der letzten drei Jahrzehnte falsch gewesen sei, für "Irrsinn". Trotz etlicher Krisen zur Zeit des kalten Krieges habe sich die Politik der Sicherheit und Entspannung lange bewährt.
Ich glaube, dass es in der Politik oft nicht anders läuft als in persönlichen Beziehungen (wobei offene, gute persönliche Beziehungen gerade in der Politik wichtig sind).
Nach vielen vielen Jahren stellt sich nicht selten ein Entfremdungsprozess ein, der bis zur erbitterten Feindschaft führen kann. Der Grund ist oft, nicht immer) verspieltes oder verlorengegangenes Vertrauen.