Langsam sieht man die Vorgänge an der Essener Tafel etwas differenzierter.
Aber natürlich ist es einfacher - und es bestätigt zudem das eigene hochmoralische Kuschelgefühl - sofort zur jederzeit bereitliegenden Nazi- und Rassisten-Keule zu greifen. Wir sind die Guten, und wer nicht ist wie wir, das sind Rassisten und/oder Nazis.
Die Empörung über die Essener Tafel ist billig und wohlfeil
(Duden: wohlfeil = abgedroschen, platt)
Zitat:So las es sich in den aufgeregten Berichten, und so sah es im Fernsehen aus. Der Tafelchef „zeigt keine Reue“, lautete eine Überschrift, als Sartor den schon lange zuvor beschlossenen Schritt der privaten Initiative verteidigte. Man habe das sehr lange diskutiert, sagte er, und sei schließlich zu dem Schluss gekommen, das Verhältnis von 75 Prozent Bedürftigen ohne deutschen Pass und den angestammten „Kunden“ wieder ausgeglichener zu gestalten (...)
Da war das bundesweite Urteil allerdings schon gefällt, erst recht, als sich der Essener Tafel-Chef deutlich zum Verhalten bestimmter Besucher einließ. Das wurde als Rassismus ausgelegt, wohlfeile Empörung gab es von allen Seiten (...)
Doch was war das Thema? Das Thema war und hätte für Politik und Medien sein müssen, genau hinzuschauen, was bei der Tafel in Essen – und nicht nur dort – wirklich los ist und warum das so ist. Aber das könnte selbstverständlich unangenehm werden, weil es die Misere der Sozial- und Flüchtlingspolitik der Parteien offenlegt, die sich gerade anschicken, eine neue Große Koalition zu bilden. Und weil es ins Heileweltwunschbild all derjenigen nicht passt, in deren persönlichem Lebenskreis es solche Probleme nicht gibt, weil sie niemals bei der Tafel um Essen anstehen, sondern höchstens an der Supermarktkasse einmal etwas länger warten müssen.
Ein guter Kommentar, der den Nagel auf den Kopf trifft.
Ebenso treffend die
Reaktion von Sahra Wagenknecht:
Zitat:Wagenknecht warf der Bundeskanzlerin vor, mit ihrer Politik die steigende Altersarmut sowie prekäre Verhältnisse für Geringverdiener und Arbeitslose in Deutschland mitverschuldet zu haben. Deshalb seien die Mitglieder der Bundesregierung, und insbesondere die Kanzlerin, laut Wagenknecht „die Letzten, die eine Autorität haben, diese Entscheidung zu kritisieren.“
Der eigentliche Skandal sei, dass sich Menschen hierzulande „darüber streiten müssen, wer Zugang zu abgelaufenen Lebensmitteln hat“. Dies sei ein „Armutszeugnis“ für Deutschland“, so Wagenknecht.
Und noch ein Kommentar, aus
"Cicero"
Zitat:Dem Leiter wurde „Rassismus“ vorgeworfen, das Gebäude und die Lieferfahrzeuge der Tafel mit der Parole „Fuck Nazis“ beschmiert. Im Internet kursierten Boykott- und Blockadeaufrufe.
Etwas zivilisierter, aber nicht weniger verlogen äußerte sich die offizielle Politik. Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) twitterte, ihr laufe es „eiskalt den Rücken herunter“, wenn „Essen nur für Deutsche“ ausgegeben werde.
Parteifreund und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach beklagte, ebenfalls bei Twitter, dass „Ausländerhass sogar bei den Ärmsten angekommen“ sei. Dabei sei „Hunger für jeden gleich“ (...)
Der eigentliche Skandal ist, dass in diesem reichen Land überhaupt so viele Menschen auf private Almosen angewiesen sind. Egal, ob es sich um arme deutsche Rentner und alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern, oder um anerkannte Asylberechtigte und Kriegsflüchtlinge mit Bleiberecht handelt. Doch über diesen Skandal wird bestenfalls in warmen Sonntagsreden debattiert.
Es drängt sich wirklich der Verdacht auf, dass die Politiker in Berlin entweder nicht wissen oder nicht wissen wollen, was außerhalb der Bannmeile los ist.
Dabei wäre es doch in Berlin so einfach. Vielleicht sollten sie Berlin nicht nur als Hauptstadt, sondern auch als eine von dreieinhalb Millionen Menschen (darunter über 30% mit Migrationshintergrund) bewohnte große Stadt betrachten, in der sich die gesellschaftlichen und sozialpolitischen Probleme der Republik wie unter einer Lupe darbieten.