Dem, was @Sophie und @forest inhaltlich geschrieben haben, habe ich nichts hinzuzufügen oder wegzulassen. Genau aus den genannten Gründen ist die Teilnahme Prolls an der Podiumsdiskussion berechtigt und sinnvoll gewesen.
Dass er nicht der von zwei Usern vehement verlangten expliziten Distanzierung von Gewalt bei Demos nicht nachkam, kann verschiedene Gründe haben.
Vielleicht sieht er sich nicht als Automat, der die geforderten und derzeit gewünschten Antworten so einfach ausspuckt.
Vielleicht hat er mit Gewalt schon sehr lange nichts mehr am Hut, allenfalls in theoretischen Überlegungen, und sieht sich daher nicht in der Pflicht, sich dazu zu äußern.
Vielleicht ist er im Rahmen - und dies auch wörtlich - seiner sekundären und tertiären Sozialisation, erfolgt in den 60er Jahren, gar nicht in der Lage, all das in dieser Zeit Erlebte ganz einfach abzustreifen und alles in Frage zu stellen - auch wenn er es aus späterer Einsicht nicht mehr täte ... usw.
Denn die Ereignisse vor dieser Brandstiftung an den Kaufhäusern in Frankfurt stellen einen Wendepunkt in unserer Gesellschaft dar, weil sie das Vertrauen in das schon hier erwähnte Gewaltmonopol des Staates bei einem erheblichen Teil der Bevölkerung, vor allem der jungen, schwer erschütterten.
Wer Zeit hat und wen es wirklich interessiert, wie es dazu kam, sollte die sehr genaue, sehr informative und objektive Darstellung in
Wiki zur Demonstration am 2. Juni 1967 in West-Berlin gegen den Staatsbesuch des persischen Schahs lesen, auch wenn sie etwas länger ist. Es ist ein wichtiger Teil Zeitgeschichte unserer Republik.
Kurz zusammengefasst:
Schon Wochen, ja Monate vorher lief in der Bildzeitung eine Kampagne an, die den persischen Schah ins aller beste Licht rückte. Westlich ausgerichtet (sein Vorgänger Mossadegh war ja durch die Geheimdienste der USA und GBR sowie des Militärs weggeputscht worden, wegen des Öls, dessen Produktion und Verkauf er verstaatlichen wollte) und einige Jahre mit der schönen deutschstämmigen Soraya verheiratet, war er und seine Familie ständiger Gast in Klatschspalten des niederen und hohen Journalismus. Neben der Werbetrommel für den bald anstehenden Besuch des Schahs hetzte BILD, auf einer zweiten Schiene, schon im Vorfeld gegen die APO, weil diese eine Demonstration gegen den Schahbesuch plante.
Derartig mental und ideologisch aufmunitioniert setzte die Polizei am Tage X, also dem 2. Juni, eine Taktik um, die aus den Straßenkämpfen der Weimarer Zeit zu stammen schien und von vornherein den Kontakt mit den Demonstranten suchte, und zwar mit dem Knüppel. Aus ganz Deutschland zugereiste und z.T. bezahlte Perser, genannt "Jubelperser", schlugen mit Holzlatten und Stangen auf die Demonstranten ein, die Transparente mit den üblichen Parolen trugen. Die Polizei sah dem zu tatenlos zu, und tat auch bei den weiteren Demos an diesem Tage nichts (drei fanden statt), um die beiden Gruppen zu trennen. Bei der Abenddemo vor der deutschen Oper schlug die Polizei ohne Rücksicht auf friedliche Demonstranten ein, spezielle Komandos machten Jagd auf einzelne Demonstranten und unterzogen sie einer "Sonderbehandlung" und schließlich wollte man den Platz vor der Oper räuumen. Als das mit einem Sitzstreik beantwortet wurde, setzte die Polizei Schlagstöcke, Hunde und Eisenstangen ein und versuchte die Demonstranten einzukesseln, um ein längeres Haudrauf-Vergnügen zu haben. Viele konnten trotzdem in Seitenstraßen fliehen, unter ihnen Benno Ohnesorg, der in einem Hinterhof landete, wo schon Polizisten auf ein paar Demonstranten und dann auch auf ihn einschlugen. Dort wurde er durch einen Schuss in den Hinterkopf getötet, von einem Polizisten. Wie spätere Untersuchungen ergaben, hatte Ohnesorg keine Waffe bei sich gehabt, hatte sich nicht gewehrt und hatte auch nicht in die Auseinandersetzungen eingegriffen. Obwohl die Behauptungen des Polizisten, er habe aus Notwehr zur Waffe gegriffen und diese sei im Gerangel losgegangen, nicht glaubhaft waren, wurde er freigesprochen, auch nach einer Revision.
Aus Wiki:
Zitat:Nach einem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts gab es für den Schlagstockeinsatz vor der Oper keine Rechtsgrundlage. Auch der Einsatz von Greiftrupps sei von vornherein nur zur Konflikteskalation geeignet gewesen. Dennoch wurden nur 13 von 200 angezeigten beteiligten Polizeibeamten angeklagt. Drei Polizeihauptwachtmeister wurden wegen Körperverletzung im Amt zu je sechs Wochen Gefängnis verurteilt. Die übrigen Verfahren wurden eingestellt: darunter die gegen die drei Polizisten, die Ohnesorg und andere im Innenhof verprügelt hatten.[37] Die Zeugenaussagen dazu wurden bei der Beweisaufnahme nicht berücksichtigt.
Nur so kann man verstehen, warum sich ab diesem Tag die Studentenbewegung radikalisierte.
In der
taz schrieb der Zeitzeuge (Mitglied des SDS) und spätere Journalist Christian Semler:
Zitat:Bis zum 2. Juni 1967, als der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten - keineswegs in Notwehr - erschossen wurde, hielten sich die studentischen Aktionen einfallsreich in der Schwebe, in einem trickreichen Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Danach änderte sich alles: Die Staatsgewalt tötete und versuchte auch noch den Totschlag zu vertuschen. Als die Linken durch eigene Ermittlungen die Wahrheit ans Licht brachten, stand für sie fest: Der Rechtsstaat hatte versagt.
Der Tod des Studenten Ohnesorg wurde fortan nicht mehr als isolierte Untat gesehen, sondern auf der Folie der politischen Auseinandersetzung um die "Notstands"-Gesetze interpretiert. Diese Gesetze, 1968 verabschiedet, schränkten die Geltung der Grundrechte im Notstandsfall ein, zu dem auch der "innere Notstand" gehörte.
Der nächste Schritt nach dem zivilen Ungehorsam (Sitzstreiks, Blockaden) war dann die Gewalt gegen Sachen. Die Brandstiftung an den Kaufhäusern (nachts und mit Vorwarnung, um keine Menschen zu gefährden) geschah als Protest gegen den Vietnamkrieg, um dem Menschen die Flammenhölle des Vietnamkriegs (vom dem man ja nur schreckliche TV-Bilder kannte) "nahezubringen".
Und das Attentat auf Rudi Dutschke, zwei Monate später, das zu Blockaden und Angriffen auf das Springer-Verlagshaus führte, weil man BILD die Hauptverantwortung für die "Verteufelung" der Studentenbewegung zuschrieb, war dann der fließenden Übergang zu einer noch stärkeren Radikalisierung eines Teils der Studentenbewegung.