Wir ent-menschen uns immer enthemmter - Macht einmal ein Experiment: Nehmt hier im Forum irgendeinen Beitrag über die Flüchtlingsrettungen im Mittelmeer - egal ob bei Spiegel, Bild, Focus oder regional bei AA - und lest die ersten drei Kommentare. Ich wette, mindestens einer empört sich nach dem Motto "Am besten richten wir direkt ein Taxi Shuttle ein" oder "Lasst sie nur alle rein"... oder fordert direkt "Lasst sie doch ersaufen, das Pack, die wollen eh nur unsere Kohle" - und selbst wenn sie es nicht ausdrücklich fordern, das Unverständnis über die Rettung impliziert dass "Besser Ertrinken lassen als noch mehr Ausländer in Europa".
Immer wieder werdet Ihr auch lesen "Das sind gar keine Flüchtlinge - die kommen nur aus wirtschaftlichen Gründen" - das kann durchaus hier und da sein, aber die Grenzen sind da fließend. Und die Grenzen des fehlenden Anstands und der Ablehnung unverständlich - und heuchlerisch. Wenn jemand aus einem Kriegsgebiet kommt, um hier in Sicherheit leben zu können, ist er angeblich Willkommen. Wenn er aber in einem anderen Land keine Infrastruktur, keine Arbeit und schließlich kein Essen mehr findet und nach Europa kommt, um hier über-leben oder auch besser leben zu können - dann ist das ein "Sozialschmarotzer"?
Welches Verbrechen hat dieser Mensch begangen, dass wir uns anmaßen zu sagen "Der soll gefälligst bleiben, wo er ist, solange keine unmittelbare Lebensgefahr besteht, hat der hier nichts zu suchen"? Eigentlich nur das "Verbrechen", im falschen Land geboren zu sein - in der Regel hat ihn keiner gefragt und er kann nichts dafür. Der Wunsch eines Menschen, dort leben zu wollen, wo es ihm am besten geht, ist verständlich. Aus demselben Grund ziehen auch viele Menschen hierzulande in bevorzugte Wohngebiete oder aus strukturschwachen Gegenden in Ballungsräume. Ich habe noch nie gehört, dass jemand in NRW oder Bayern ruft "Wir wollen das Migranten-Pack aus Sachsen nicht mehr" (zumindest nicht mit vollem Ernst). Das scheint legitim. Oder Auswandern mach Mallorca, Ibiza oder Kanada, weil es dort lebenswerter erscheint, auch. Wir selbst gestehen uns dazu, den falschen Geburtsort zu "korrigieren" - "Nicht-Deutschen" nicht...
Und doch ist diese Art der Migration eher bescheiden. Auch die Zahl der Deutschen die das sicherlich von den Sozialsystemen noch komfortabler aufgestellte Skandinavien als Auswanderungsgegend sehen ist gering. Und selbst aus strukturschwachen EU-Ländern wie Bulgarien oder Rumänien hat keine Massenwanderung nach Westeuropa eingesetzt. Es scheint also noch etwas dazu zu gehören, um den Entschluss zu treffen, seine Heimat zu verlassen und ein Risiko bei der Auswanderung einzugehen: Es muss einem VIEL schlechter gehen in der Heimat, als wir uns das vorstellen können. Trotzdem fahren viele, fast die meisten Länder eine "harte Linie", soll das "Pack" doch anlanden wo es will, Hauptsache nicht bei uns. Deutschland hat sich von der Hoffnung auf eine gesamteuropäische Lösung verabschiedet, heißt es. Zu viele Länder scheinen von Ausländerhass und rechten Parteien offensichtlich schon zerfressen.
Wir entmenschlichen uns.
Wir müssen gar nicht auf Salvini in Italien oder Orban in Ungarn schauen - selbst Noch-Demokraten wie der österreichische Bundeskanzler Kurz sagen, sie werden keine Seenotrettungsmissionen unterstützen, es sei ein falscher Anreiz gerettet zu werden und Europa müsse ein klares Zeichen setzen. Was in der Realität nichts anderes heißt als: "Wir müssen nur eine Zeit lang Menschen ersaufen lassen, statt sie zu retten, dann kommt schon keiner mehr".
Der Tod von Menschen wird billigend in Kauf genommen - zu Gunsten einer Erziehungs- und Abschreckungsmaßnahme. Wo ist da der Unterschied zum Gedanken, Menschen für eine (Straf-)Tat zu erschießen - Erschießen soll sogar noch humaner sein als Ertrinken - um Nachahmer abzuhalten? Und welche (Straf-)Tat hatten diese Menschen, die den Tod als Erziehungsmittel verdienen noch einmal gleich begangen?
Richtig, sie waren in ein Land geboren, in dem es ihnen sehr viel schlechter ging als uns Glückspilzen hier in Europa und sie wollten ein lebenswerteres Leben führen. Europa sitzt auf dem hohen Ross zu sagen: Das ist unser "Land" und WIR entscheiden, wer Leben und Sterben darf. Ist das auch nur im Ansatz noch mensch-lich? Ist da nicht jedes Wolfsrudel sozialer eingestellt? Und da nützen auch keinen Ausflüchte "Wir müssen erst die Fluchtursachen bekämpfen" - das haben "sie" vor 10 und 20 Jahren schon gesagt und ist nun zu spät. Das wäre ungefähr so, als wenn die Feuerwehr vor den lichterloh brennenden Haus stehen bleibt und statt die Rettungsleiter auszufahren sagt "Und nun reden wir erst mal eine Stunde über Brandschutzmaßnahmen". Das sind ALLES nur Ablenkungsmanöver und Ausflüchte.
Und es gibt einen definitiven Grund, warum wir, wenn wir es wollten, nach Mallorca oder Kanada auswandern könnten und dürfen und diese Menschen nicht: Weil wir es uns leisten und bezahlen könnten, die Menschen aus ärmeren Ländern aber nicht. Im Gegenteil, dafür müssten wir von unserem Reichtum etwas abgeben. Und beim Geld hört die Freundschaft ja wohl auf. Eh "wir" für einen anderen Menschen Geld ausgeben oder teilen, lassen wir ihn doch eher ersaufen...
Ihr kotzt mich an! Alle, die so denken, alle, die Kommentare unter Artikel zur Seenotrettung in dieser Richtung schreiben und alle, die diskutieren, ob Frau Rackete und Co. sich bei der Rettung von Menschenleben denn auch an jeden Paragraphen internationalen Seerechts halten oder gehalten haben, denn wenn nicht, könnte man ja doch diskutieren, ob ein Ertrinkenlassen nicht vielleicht doch rechtfertigt... und alle, die sagen "warum sollen denn gerade wir die aufnehmen, können doch auch mal die anderen, wenn wir schon unbedingt Menschenleben retten müssen und ist Malta nicht lebensrettenden als Italien" und erst recht alle die, die argumentieren: "Wenn die nur erst bei uns sind, dann begehen die eh nur Verbrechen und wir werden die nie wieder los, dann sollen sie lieber bleiben, wo sie sind und ersaufen"...
Euer Ausländerhass kotzt mich an!