18.11.2018, 18:03
Um mal wieder zum Thema zurückzukommen: Ein sehr kluger Kommentar, der sich mit dem Denken der Brexit-Anhänger beschäftigt. Da wird sich auch hier der ein oder andere wiederfinden. Na ja. Eigentlich nur einer.
Der harte Kern des Brexits
Zitat:Nach einer eben erst veröffentlichten Umfrage des Europaparlaments ist die Zustimmung zur Europäischen Union so hoch wie noch nie. Fast zwei Drittel der Europäer sehen sie positiv. Und nicht etwa die Briten sind die größten Gegner der EU. Eine absolute Mehrheit (51 Prozent) wünscht derzeit den Verbleib, nur mehr 34 Prozent würden erklärtermaßen für einen Austritt stimmen, wenn abermals ein Brexit-Votum anstünde. Nein, die meisten Gegner hat die Europäische Union zur Zeit in Italien. Es ist das einzige Land, dessen Bürger mehrheitlich den Austritt wählen würden, wenn man ihnen jetzt Gelegenheit dazu gäbe. Laut Umfrage, wohlgemerkt. Solche Zahlen können sich ändern, und das tun sie auch regelmäßig. Dass eine Mehrheit der Italiener so schlecht über die EU denkt, ist kein Wunder, denn es wird ihnen von den führenden Politikern und der Regierung täglich eingeredet.
Ganz anders die Zahlen in Deutschland. Dort sind drei Viertel der befragten Bürger überzeugt, dass sie es gut haben in der Europäischen Union. Dass sie ihnen nützt. Dieser Punkt ist entscheidend.
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Hierzu ist ein anderes Umfrageergebnis interessant. Daraus geht hervor, dass zwei Völker auf der Welt ihrer eigenen Nation einen grotesk überproportionalen Einfluss auf die Weltgeschichte zumessen: das sind Briten und Russen, die beide glauben, mehr als die Hälfte allen Geschehens sei von ihren Nationen bestimmt worden. In den Vereinigten Staaten oder Deutschland liegen die aktuellen Werte für nationale Anmaßung, wie man dergleichen wohl nennen muss, nur halb so hoch.
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Der harte Kern des Widerstands gegen die Europäische Union in Großbritannien nistet in der konservativen Oberschicht, politisch repräsentiert durch einen Teil der Tories. Sie mobilisieren auch jetzt den Widerstand gegen die ehrenwerte Premierministerin Theresa May und die von ihr ausgehandelte Austrittsvereinbarung mit der EU . Überzeugte Anhänger des europäischen Projekts gab es in der politischen Klasse dort freilich von jeher kaum. Nur widerwillig, im Grunde unter ökonomischen Zwängen – die britische Wirtschaft trudelte in den Niedergang, der Ausweg lag im Handel und Wandel mit dem Kontinent – machte man ab 1972 überhaupt mit. Der britische Einfluss auf die Union wurde in Deutschland wegen der marktwirtschaftlichen und ordnungspolitischen Orientierung geschätzt. Allerdings trugen die Briten auch eine Denkungsart in die EU, ein Rechnungsunwesen, das in Nettozahler und Nettoempfänger unterschied, letztlich Gewinner und Verlierer. Idee und Praxis der Europäischen Union sind aber nicht, dass einer den anderen übervorteilt (Trumps „Art of the Deal“), sondern dass alle gewinnen. Eine naive Idee? Durchaus nicht. In jeder guten Ehe, jeder Familie, jeder guten Nachbarschaft oder Arbeitsgemeinschaft findet das statt. Wo nicht, folgt das Scheitern.
Insofern haben die Briten eine letztlich systemkritische Deutung innerhalb der Europäischen Union etabliert. Auch das hat ihnen Freunde in Deutschland verschafft – nämlich bei denen, die ebenso denken.(...)
Der harte Kern des Brexits