16.01.2019, 11:43
(15.01.2019, 19:52)leopold schrieb: Was bleibt einem Sachbearbeiter im Amt noch, wenn er keine Konsequenzen aus vorsätzlichem Fehlverhalten ziehen kann?
Seinen (sehr wahrscheinlich befristeten) Vertrag mit dem Jobcenter kündigen und sich einen anständigen Job, z.B. im Pflegebereich suchen. Da muss er Menschen nicht drangsalieren, sondern kann ihnen helfen. Ich habe mir sagen lassen, dass da dringend Leute gesucht werden. Das Problem ist ja nicht eigentlich, dass Regierungen schlechte Gesetze machen, sondern dass es immer Leute gibt, die sie dann ausführen. Stell dir vor, es ist Hartz IV und das Jobcenter hat keine Sachbearbeiter.
Ganz nebenbei: Ich habe jetzt schon mehrfach an verschiedenen Stellen gelesen, dass von dem, was Hartz IV kostet, gut die Hälfte Verwaltungskosten sind, dieses Geld also bei den Jobcentern verbleibt. Nur die kleinere Hälfte wird an die "Kunden" ausbezahlt. Die frühere Sozialhilfe war verwaltungsmäßig weitaus billiger. Würde man Hartz IV durch ein System ersetzen, dass an der ehemaligen Sozialhilfe orientiert ist, hätte man diese Verwaltungskosten zum größten Teil eingespart, könnte locker die ausbezahlten Sätze um die Hälfte erhöhen und hätte trotzdem noch etwa ein Viertel der Gesamtkosten gespart. Und würde man in Deutschland nicht Löhne bezahlen, die von der Kaufkraft her ungefähr denen der 90er Jahre entsprechen, könnten auch noch die Leistungen an die Aufstocker wegfallen.
Und wenn, wie Sie schreiben, nur 3 % der Hartz-IV-Bezieher von Sanktionen betroffen sind, dann machen diese 3 % "das Kraut nicht fett". Damit kann man leben, so wie der Staat auch an 3 % Steuerhinterziehern oder Schwarzarbeitern nicht pleite geht.
Es gibt gerade unter Hartz-IV-Empfängern auch Leute, die psychisch krank und zum Beispiel von einer Angststörung betroffen sind. Die haben dann mitunter Schwierigkeiten, aus dem Haus zu gehen, egal ob zum Termin beim Jobcenter oder zum Arzt, um sich eine Krankschreibung zu holen. Und der gewöhnliche "gelbe Zettel", der für jeden anderen Zweck ausreicht, wird ja vielfach von den Jobcentern gar nicht akzeptiert, sondern es wird eine "Bettlägrigkeitsbescheinigung" gefordert. So etwas gibt es zwar, die wird einem aber ein seriöser Arzt gerade bei psychischen Krankheiten nicht ausstellen, weil sie gelogen wäre. Und dann gibt es noch den MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen). Der wird bei häufigen Krankmeldungen von den Jobcentern mit der Überprüfung des Gesundheitszustands des "Kunden" beauftragt. Zum MDK muss man wissen, dass man ihn gegründet hat, als die Pflegestufen eingeführt wurden. Er sollte die Pflegebedürftigen in die entsprechenden Stufen einordnen und hatte am Anfang ziemlich viel Arbeit, weil Pflegestufen ja etwas ganz Neues waren. Aber schon recht bald war der Bestand abgearbeitet und es ging nur noch um Pflegebedürftige, die neu dazukamen. Man hätte den MDK stark verkleinern oder sogar abschaffen können. Eine Pflegestufe ermitteln kann jeder Allgemeinmediziner auch, dazu braucht man keinen MDK. Aber wie es halt so ist, (halb)staatliche Stellen sind schnell neu gegründet, aber mit der Abschaffung tut man sich schwer, auch wenn es sinnvoll wäre. Also hat man ihm neue Aufgaben zugeteilt. Er entscheidet jetzt bei den Krankenkassen z.B., ob jemand nach längerer Arbeitsunfähigkeit eine Wiedereingliederungsmaßnahme bezahlt bekommt und bei den Jobcentern spielt er den Amtsarzt, der die Richtigkeit der Diagnosen und Krankschreibungen der niedergelassenen Ärzte und Krankenhäuser überprüfen soll. Man nennt den MDK auch "Gesundschreibedienst".
Waren Sie übrigens schon mal bei so einem Termin im Jobcenter dabei? Das können Sie, auch ohne selbst Hartz IV zu beziehen. Sie müssen nur als "Beistand" eines "Kunden" auftreten, denn der "Kunde" hat das Recht, so einen Beistand mitzubringen, und das kann jeder x-Beliebige sein. Sie werden erleben, dass da nichts besprochen wird, was man nicht auch telefonisch klären könnte. Wirklich wichtige Dinge wie Aufforderungen, sich bei einer bestimmten Firma zu bewerben oder Bescheide kommen ohnehin auf dem Postweg, die bekommt der Hartz-IV-Bezieher nicht vom Sachbearbeiter in die Hand gedrückt. Diese Termine sind zum ganz großen Teil reiner Selbstzweck und finden vermutlich hauptsächlich deshalb statt, weil der Sachbearbeiter dazu verpflichtet ist, in regelmäßigen Abständen Termine mit dem Kunden zu machen und das seinem Vorgesetzten nachzuweisen. Und natürlich, damit das Jobcenter einen Grund hat, eine Sanktion zu verhängen, wenn der "Kunde" zu dieser sinnfreien Veranstaltung nicht erscheint.
Das ist alles eine riesige Farce und von vorn bis hinten verkorkst. Wenn es nicht so traurig wäre, käme man aus dem Lachen gar nicht mehr raus, wenn man sich das mal näher ansieht.