09.10.2017, 18:05
Vielleicht interessiert es ja jemand, was Ralf Dahrendorf bereits im Jahr 1991 zum Thema Separatismus gesagt hat. Gustav Seibt hat es in der SZ zusammengefasst:
Selbstbestimmung lädt zur Diktatur ein
Zitat:Nach dem katalanischen Referendum soll es in zwei Wochen ein lombardo-venezianisches geben, bei dem der Norden Italiens über seine Selbständigkeit abstimmt. Wie in Spanien sind die Gründe vorwiegend ökonomisch. Wirtschaftlich starke Regionen wollen nicht weiter für ärmere Teile des Landes zahlen, mit denen sie in Nationalstaaten zusammenleben.
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Schon 1991, am Beginn der jugoslawischen Krise, warnte der liberale Denker Ralf Dahrendorf in visionären Aufsätzen vor dieser Tendenz zur Rückkehr in kleine historische Einheiten, vor der neuen Sehnsucht nach Homogenität in einer "Stammesexistenz": "Menschen können oder wollen das Leben in heterogenen Gemeinschaften nicht ertragen; sie suchen ihresgleichen und möglichst nur ihresgleichen", schrieb Dahrendorf 1991 in der Zeitschrift Merkur unter dem Titel "Europa der Regionen?". In einer kurz zuvor gehaltenen Rede entwickelte Dahrendorf die inneren Widersprüche des völkerrechtlichen Konzepts der "Selbstbestimmung": Es würde immer im Namen von anderen in Anspruch genommen, die im Zweifelsfall gar nicht gefragt würden. "Selbstbestimmung lädt zur Diktatur ein", so Dahrendorf.
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In allen nationalen Unabhängigkeitskämpfen pflegen die Reihen sich zu schließen. "Stämme mögen Minderheiten nicht", fasste Dahrendorf zusammen. Schon 1991 wies dieser auch auf eine fatale Wechselwirkung mit der Europäischen Union (damals noch EG) hin: Die Regionen verließen sich bei ihrem Kampf gegen die Nationalstaaten darauf, im großen Ganzen Europas aufgehoben zu bleiben, sie wollten also die materiellen Folgen ihrer Vereinzelung doch lieber nicht tragen. Man wollte unter sich bleiben und gleichzeitig die Vorzüge einer großräumigen Wirtschaftsordnung behalten.
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Was folgt aus alldem? Dahrendorf verlangte 1991, die Schwellen für Abspaltungen zu erhöhen und formulierte einen Kodex für Sezessionen. Man müsse zuvor alle Möglichkeiten der Einheit in Frieden ausschöpfen. Nötig seien auch qualifizierte Mehrheiten; hauchdünne Abstimmungsergebnisse - wie zuletzt auch beim Brexit - hielt Dahrendorf für unzureichend. Er erinnerte daran, dass die Schweiz nach dem Ersten Weltkrieg die Region Vorarlberg nicht aufnehmen wollte, weil ihr 20 Prozent Nein-Stimmen bei der Volksabstimmung davor zu viel erschienen.
Eine Mehrheit von drei Viertel der Stimmen verlangte Dahrendorf bei Unabhängigkeitsreferenden. Und danach sollte internationale Anerkennung und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem neuen Staatsgebilde an scharfe Auflagen zu Freiheitsgarantien und Minderheitenrechten geknüpft werden. Schon die Einführung einer diskriminierenden Einheitssprache sei nicht akzeptabel.
Selbstbestimmung lädt zur Diktatur ein