17.02.2019, 23:48
Alzheimer ist doch gar nicht schlecht.
Ich hatte mal einen Freund, der sich als Zivi nur um eine einzige Patientin kümmern musste. Eine alte Dame mit reichlich Geld und Alzheimer.
Von der und seiner Arbeit hat er uns immer erzählt. Dass er z.B. fast täglich mit ihr ins Café gehe. Und zwar nicht einmal, sondern mehrmals hintereinander. Nach einer Stunde verließen sie das Café, er ging mit ihr einmal um den Block und sagte dann zu ihr "Schauen Sie mal, das Café XY. Da waren wir schon lange nicht mehr, da könnten wir doch jetzt wieder mal hingehen." "Stimmt, gute Idee," sagte sie dann, "da waren wir wirklich schon lange nicht mehr." Und dann gingen sie da wieder rein und sie trank wieder einen Kaffee und aß wieder ein Stück Torte und er trank sein Weizen. Das konnte er mit ihr bis zu drei Mal hintereinander machen, bis sie halt irgendwann keinen Appetit mehr auf Kaffee und Kuchen hatte.
Wir, seine Freunde, wollten sie dann mal sehen. Er wohnte damals noch bei seinen Eltern und die Wohnung war nicht besonders groß. Drei Zimmer, eines davon seines, Küche, Bad. Er holte sie ab und kam mit ihr wieder. Er sperrte die Tür zum Treppenhaus ab, damit sie nicht davonlaufen konnte. Und dann besichtigte sie, während wir in seinem Zimmer Musik hörten, die Wohnung, obwohl sie das in der Vergangenheit schon mehrfach getan hatte. Und zwar besichtigte sie sie mehrmals. Sie ging einfach im Flur auf und ab, öffnete jede unverschlossene Tür und schaute sich das Zimmer dahinter an. Wenn sie durch war, fing sie von vorne an, weil sie inzwischen vergessen hatte, dass sie in diesem Zimmer erst vor wenigen Minuten gewesen war.
Wenn man das hat, ist also immer alles völlig neu und daher interessant. Man lernt auch ständig neue Leute kennen. Wir mussten uns an dem Tag fünf- oder sechsmal bei ihr vorstellen, wenn sie wieder mal in sein Zimmer kam.
Schlimmer ist was anderes. Ich lag mal in der Neurochirurgie, damals im 11. Stock des ZKA. Das war ein Zweibettzimmer und das andere Bett belegte ein Mann mit einer Krankheit, deren Namen ich leider vergessen habe. Aber dem hat es das Großhirn zersetzt. Das ist einfach Stück für Stück abgestorben und die Ärzte konnten nicht mehr tun, als die abgestorbenen Teile von Zeit zu Zeit zu entfernen.
Der hatte nicht nur lucida intervalla, sondern wirkte sogar die meiste Zeit ganz normal. Nur ganz selten hatte er eine Art Anfall, während dessen er völlig weggetreten und nicht ansprechbar war. Er hat aber dann keinen Unsinn gemacht, wie es Alzheimer-Patienten mitunter tun (zu einer Arbeit fahren wollen, die sie seit 20 Jahren nicht mehr haben oder so), dazu war er in diesem Zustand gar nicht mehr fähig. Diese Anfälle waren wirklich schlimm. Der lag zum Beispiel nachts mal quer im Bett und plapperte laut kompletten Unsinn. Davon bin ich aufgewacht. Ich habe dann versucht, ihn wieder richtig herum reinzulegen und ihm natürlich dauernd gesagt, dass das so, wie er es macht, falsch ist. Aber er hat sich immer wieder so hingedreht, dass der Kopf auf der einen Seite und die Beine auf der anderen Seite herunter hingen. Mir blieb dann nichts anderes übrig, als den Notruf zu drücken und den herbeigeeilten Schwestern blieb nichts anderes übrig, als ihn zu sedieren. Erst, als das Mittel wirkte (ziemlich schnell; das Medikament, das sie ihm spritzten, muss ein echter Hammer gewesen sein) konnten sie ihn richtig herum in seinem Bett platzieren.
Wir haben uns natürlich (auch) über unsere Krankheiten unterhalten und er sagte, das, was er da habe, sei ganz schrecklich für ihn. Vor einem halben Jahr habe er noch als Bauleiter gearbeitet und den Handwerkern auf den Baustellen gesagt, was sie wann zu tun hätten. Und jetzt liege er hier und sein Hirn "verfaule" (sein Ausdruck dafür) ihm im Kopf bei meistens vollem Bewusstsein. Es gebe kein Mittel dagegen, kein Arzt der Welt könne das heilen und er werde über kurz oder lang daran zugrunde gehen. Eher über kurz als über lang. Der wusste also genau, was gerade mit ihm passierte und dass die Lage hoffnungslos war. Als er mir das erzählte, hat er geweint.
Da ist Alzheimer doch viel gnädiger mit dem Patienten, findest du nicht?
Ich hatte mal einen Freund, der sich als Zivi nur um eine einzige Patientin kümmern musste. Eine alte Dame mit reichlich Geld und Alzheimer.
Von der und seiner Arbeit hat er uns immer erzählt. Dass er z.B. fast täglich mit ihr ins Café gehe. Und zwar nicht einmal, sondern mehrmals hintereinander. Nach einer Stunde verließen sie das Café, er ging mit ihr einmal um den Block und sagte dann zu ihr "Schauen Sie mal, das Café XY. Da waren wir schon lange nicht mehr, da könnten wir doch jetzt wieder mal hingehen." "Stimmt, gute Idee," sagte sie dann, "da waren wir wirklich schon lange nicht mehr." Und dann gingen sie da wieder rein und sie trank wieder einen Kaffee und aß wieder ein Stück Torte und er trank sein Weizen. Das konnte er mit ihr bis zu drei Mal hintereinander machen, bis sie halt irgendwann keinen Appetit mehr auf Kaffee und Kuchen hatte.
Wir, seine Freunde, wollten sie dann mal sehen. Er wohnte damals noch bei seinen Eltern und die Wohnung war nicht besonders groß. Drei Zimmer, eines davon seines, Küche, Bad. Er holte sie ab und kam mit ihr wieder. Er sperrte die Tür zum Treppenhaus ab, damit sie nicht davonlaufen konnte. Und dann besichtigte sie, während wir in seinem Zimmer Musik hörten, die Wohnung, obwohl sie das in der Vergangenheit schon mehrfach getan hatte. Und zwar besichtigte sie sie mehrmals. Sie ging einfach im Flur auf und ab, öffnete jede unverschlossene Tür und schaute sich das Zimmer dahinter an. Wenn sie durch war, fing sie von vorne an, weil sie inzwischen vergessen hatte, dass sie in diesem Zimmer erst vor wenigen Minuten gewesen war.
Wenn man das hat, ist also immer alles völlig neu und daher interessant. Man lernt auch ständig neue Leute kennen. Wir mussten uns an dem Tag fünf- oder sechsmal bei ihr vorstellen, wenn sie wieder mal in sein Zimmer kam.
Schlimmer ist was anderes. Ich lag mal in der Neurochirurgie, damals im 11. Stock des ZKA. Das war ein Zweibettzimmer und das andere Bett belegte ein Mann mit einer Krankheit, deren Namen ich leider vergessen habe. Aber dem hat es das Großhirn zersetzt. Das ist einfach Stück für Stück abgestorben und die Ärzte konnten nicht mehr tun, als die abgestorbenen Teile von Zeit zu Zeit zu entfernen.
Der hatte nicht nur lucida intervalla, sondern wirkte sogar die meiste Zeit ganz normal. Nur ganz selten hatte er eine Art Anfall, während dessen er völlig weggetreten und nicht ansprechbar war. Er hat aber dann keinen Unsinn gemacht, wie es Alzheimer-Patienten mitunter tun (zu einer Arbeit fahren wollen, die sie seit 20 Jahren nicht mehr haben oder so), dazu war er in diesem Zustand gar nicht mehr fähig. Diese Anfälle waren wirklich schlimm. Der lag zum Beispiel nachts mal quer im Bett und plapperte laut kompletten Unsinn. Davon bin ich aufgewacht. Ich habe dann versucht, ihn wieder richtig herum reinzulegen und ihm natürlich dauernd gesagt, dass das so, wie er es macht, falsch ist. Aber er hat sich immer wieder so hingedreht, dass der Kopf auf der einen Seite und die Beine auf der anderen Seite herunter hingen. Mir blieb dann nichts anderes übrig, als den Notruf zu drücken und den herbeigeeilten Schwestern blieb nichts anderes übrig, als ihn zu sedieren. Erst, als das Mittel wirkte (ziemlich schnell; das Medikament, das sie ihm spritzten, muss ein echter Hammer gewesen sein) konnten sie ihn richtig herum in seinem Bett platzieren.
Wir haben uns natürlich (auch) über unsere Krankheiten unterhalten und er sagte, das, was er da habe, sei ganz schrecklich für ihn. Vor einem halben Jahr habe er noch als Bauleiter gearbeitet und den Handwerkern auf den Baustellen gesagt, was sie wann zu tun hätten. Und jetzt liege er hier und sein Hirn "verfaule" (sein Ausdruck dafür) ihm im Kopf bei meistens vollem Bewusstsein. Es gebe kein Mittel dagegen, kein Arzt der Welt könne das heilen und er werde über kurz oder lang daran zugrunde gehen. Eher über kurz als über lang. Der wusste also genau, was gerade mit ihm passierte und dass die Lage hoffnungslos war. Als er mir das erzählte, hat er geweint.
Da ist Alzheimer doch viel gnädiger mit dem Patienten, findest du nicht?