28.05.2019, 09:30
(28.05.2019, 07:52)Sophie schrieb: Hast du nicht dieser Tage erst argumentiert (ich stimme dem im Übrigen zu) dass man nicht immer Wahlergebnisse für ganz andere Sachverhalte uminterpretieren sollte? Die Wahl war eben alles aber KEIN REFERENDUM.
Nur durch ein zweites Referendum würde man den klaren Wählerwillen ermitteln können und inzwischen sind die Wähler auch informierter als sie es damals waren.
Stell mich halt bitte nicht für blöder hin als ich bin. Ich habe in dem Post, auf den du dich beziehst, ganz genau und bewusst zwischen "Wahl" und "Abstimmung" unterschieden. Natürlich drehte sich die Abstimmung nur um ein ganz bestimmtes Thema und die Wahl um den ganzen Themenkomplex. Aber beides hängt eng miteinander zusammen, schon in der Weise, dass die Wahl gar nicht stattgefunden hätte, wenn man bei der Umsetzung des Ergebnisses der Abstimmung nicht ewig herumlaviert hätte.
Ich sehe auch nicht, inwiefern mehr "Information" großartig etwas an der Einstellung der Briten zur EU ändern sollte. Die EU ist (nicht nur dort) ein Thema, das auch viel mit dem Bauchgefühl zu tun hat, nicht nur mit dem Kopf. Und die Frage war ganz einfach: Wollt ihr in der EU bleiben oder nicht? Und das Volk hat nein gesagt. Das sollte man respektieren, aus welchen Gründen auch immer die Mehrheit der Briten zu diesem Ergebnis gekommen ist. Man kann sich Abstimmungen nämlich sparen, wenn man bei unerwünschten Ergebnissen so lange abstimmen lässt, bis der Regierung das Ergebnis passt.
So ganz scheint bei vielen Regierungen (unsere nicht ausgenommen) noch nicht angekommen zu sein, dass sie (nur) die Exekutive sind und nicht absolutistische Herrscher. "Exekutive" heißt auf Deutsch "ausführende Gewalt". Ihnen wird also vom Volk Macht verliehen, aber nur zu dem Zweck, den Willen des Volkes auszuführen. Und zwar wortwörtlich "verliehen". Das Volk als eigentlicher Souverän leiht der Regierung für eine bestimmte Zeit die Macht.
Im Prinzip haben demokratische Regierungen gar keinen eigenen Willen zu haben, sondern ihr Handeln muss allein darauf ausgerichtet sein, die Vorstellungen des Volkes umzusetzen. Und nur ganz selten (bei uns überhaupt nicht) ist dieser Volkswille so unzweideutig dokumentiert wie bei einer Volksabstimmung, in der es einzig und allein um die Frage "should I stay oder I go?" ging. Das Volk hat sich für "go" entschieden und das ist eine ganz klare Handlungsanweisung an die Regierung. Klarer geht's gar nicht.
Ich sehe auch nicht, warum die Briten gehindert wären, alte Verträge, die formal außerhalb des EU-Systems, aber mit den übrigen EU-Staaten geschlossen wurden, in den Papiercontainer zu schmeißen und neue Abkommen zu schließen. Jeder Vertrag ist kündbar. Notfalls einfach dadurch, dass man ganz was anderes macht als da drinsteht. Das sieht man ja an Trump, wie er mit dem Atomabkommen mit dem Iran oder mit Abrüstungsvereinbarungen mit Russland umgeht. Der hält sich einfach nicht mehr dran. Was wollen die EU-Staaten denn machen, wenn die Briten erklären, sie betrachten sämtliche europäischen Zoll- und Handelsabkommen als hinfällig? Ihnen den Krieg erklären? Ich wäre da vorsichtig, denn die haben Atomwaffen.
May ist daran gescheitert, dass sie die Quadratur des Kreises versucht hat. Einerseits wollte sie den dokumentierten Willen der Mehrheit des Volkes umsetzen, andererseits das so machen, dass die EU damit einverstanden ist. Beides unter einen Hut zu bringen, ist unmöglich. Weil die EU auf Expansion angelegt ist und niemanden wieder austreten lassen will. Sie kann auch gar nicht anders, schon, um einen Domino-Effekt zu vermeiden. Hätte sie nach der ersten gescheiterten Abstimmung im Unterhaus (versuchen kann man es ja, aber nur einmal) gesagt, ok, der Austrittsvertrag ist gescheitert, also machen wir jetzt eben einen harten Brexit, dann wäre sie jetzt noch im Amt, hätte neulich nicht weinen müssen und England wäre längst draußen aus der EU.