Ein recht spannender Thriller, den ich gestern fertiggelesen habe:
Jennifer McMahon - Das 5. Opfer
Zunächst einmal ist das die Geschichte einer ziemlich kaputten Familie.
Der Roman beschreibt über einen Zeitraum von etwa 30 Jahren hinweg das Heranwachsen der Protagonistin Reggie im Haushalt ihrer Mutter Vera, einem schon in Reggies früher Jugend gealterten und ehemaligen "Starlet" (deren einzige Leistung auf diesem Gebiet aber tatsächlich darin bestand, in einer einzigen Zeitschriftenwerbung für eine Hautcreme zu erscheinen, und die, wie sich im Verlauf der Handlung herausstellt, in Wirklichkeit ein echtes Flittchen und auch eine Prostituierte war), deren Schwester (also Reggies Tante) und deren Lebensfährten.
Gleichzeitig ist in der Kleinstadt, in der der Roman spielt, um 1980 herum ein Serienkiller aktiv, der Frauen entführt, ihnen die rechte Hand amputiert, die Hände in Milchtüten verpackt und sie dann vor dem Polizeirevier abstellt, die Frauen dann noch einige Tage gefangen hält, ihnen zum Abschluss Hummer serviert und sie dann umbringt.
Am Ende der Aktivitäten des Killers in den 1980er Jahren verschwindet auch Reggies Mutter Vera spurlos mit einem Unbekannten, von dem sie mit dem Auto aus einem Restaurant abgeholt wird. Wenig später taucht ihre rechte Hand in einer Milchtüte vor dem Polizeirevier auf, aber ihre Leiche wird nie gefunden.
Nach diesem vierten Opfer stellt der Serienkiller seine Aktivitäten aus unbekannten Gründen ein und wird nie gefasst. Vera bleibt verschwunden.
Als die totgeglaubte Vera um 2010 herum überraschend in einem Obdachlosenasyl wieder auftaucht, inzwischen geistig völlig verwirrt und tödlich an Krebs erkrankt, wird sie von Reggie und ihrer Tante nach Hause geholt. Aufgrund iher Verwirrtheit kann sie aber nichts über ihren Verbleib während der langen Zeit sagen.
Kurz darauf wird Reggies Jugendfreundin Tara, eine Borderlinerin, die sich mit Rasierklingen schneidet und mit Feuerzeugen Narben in die Haut brennt, entführt. Am nächsten Tag wird Taras rechte Hand in einer Milchtüte auf der Treppe vor der örtlichen Polizeiwache gefunden.
Der Serienkiller ist also offenbar Jahrzehnte später wieder aktiv geworden, weil Reggies Mutter wieder aufgetaucht ist. Oder ein Nachahmungstäter... Und die Zeit läuft ab, denn nach dem damaligen Tatmuster wird das Entführungsopfer einige Tage, nachdem seine amputierte rechte Hand gefunden wurde, getötet.
Positiv:
- Die Spannung wird bis zum letzten Moment aufrecht erhalten. Und sie steigert sich fortwährend.
- Die Figuren sind hervorragend herausgearbeitet, auch die der Borderlinerin Tara.
- Die falschen Fährten, auf die die Protagonistin und mit ihr der Leser gelockt werden, sind überzeugend. Und wenn sie sich als falsch herausstellen, ist das nicht der "deus ex machina". Der Roman ist also sehr stringent und folgerichtig aufgebaut.
- Die Lösung ist tatsächlich überraschend und dann aber auch überzeugend.
Negativ:
- Die Erzählung springt fortwährend in der Zeit vor und zurück. Diese "Schnitt"-Technik mag zwar "
Cliffhanger " begünstigen, vielleicht sogar ermöglichen, aber sie tut in diesem Fall dem Spannungsbogen insgesamt nicht gut.
Es gibt Romane wie Stephen Kings "Es", in denen diese Technik sehr gut funktioniert. Aber dort liegt es am Plot. Die Geschichte in "Es" wiederholt sich tatsächlich, mit den selben Personen, Jahrzehnte später und nur leicht verändert. Deshalb tut sich King in "Es" leicht, mitten im Satz 30 Jahre vor oder zurück zu springen.
Der Plot in "Das 5. Opfer" ist aber eine kontinuierliche Entwicklung, und in diesem Zusammenhang wirkt die Technik störend. Der Überblick ist zwar gegeben, weil jedes Kapitel am Anfang datiert ist, aber eigentlich gehörte der Roman in seine Kapitel auseinandergenommen und in drei chronologisch aufeinanderfolgenden Teilen neu zusammengesetzt.
Übrigens hat man bei Kings "Es" nie den Eindruck, dass er diese Technik benutzt, um beim Leser bewusst einen Cliffhanger zu erzeugen. Bei ihm wirkt es eher beiläufig, zufällig und "ganz natürlich", dass jetzt die Zeit um 30 Jahre springt. Bei McMahon ist es zweifellos Kalkül.
Daher: Nur **** (von 5)
Aber wenn jemand Langeweile und nichts gegen ein bisschen Blut hat: Für nur 3,99 € kann man sich die Langeweile mit diesem Buch sehr gut für einige Zeit vertreiben.
(P.S.: Ärgerlich sind allerdings die vielen Rechtschreibfehler im Satz, die zum Ende hin merklich zunehmen. Der Satz hat auf den letzten Seiten höchstens "Groschen- oder Heftchenromanqualität", vielleicht nicht einmal das. Der Setzer hat wohl zunehmend unter Zeitnot gelitten. Die "Weltbild"-Sonderausgaben hatten vor der Insolvenz eine bessere Qualität in dieser Hinsicht. Da gab's nichts zu meckern. Sonst gibt es allerdings für knapp 4 € nichts auszusetzen an der technischen Machart des Taschenbuchs. Ich hab schon viel schlimmer gemachte gelesen. Aus dem Heyne-Verlag und dem Bastei-Lübbe-Verlag vor allem. Die von Bastei-Lübbe waren die schlimmsten. Romane mit knapp 1.000 Seiten, die schon nach 400 anfangen, auseinanderzufallen, und man muss dann den Ponal aus dem Keller holen...)