28.01.2018, 19:40
(28.01.2018, 13:29)Klartexter schrieb:Manchmal kann ich bei Deinen Beiträgen nur den Kopf schütteln. Ich habe Dich eigentlich für einen vernünftigen Menschen gehalten, aber was Du so alles vom Stapel lässt, stärkt meine Zweifel an meiner Einschätzung. Die verkaufte Auflage der SZ lag im 4. Quartal 2017 bei knapp 358.000 Exemplaren täglich. (Quelle ) Selbst wenn man Gratiszeitungen in Flugzeugen und Bahn hoch ansetzt kommt man auf nicht mehr als auf 5000 Gratisexemplare. Glaubst Du ernsthaft, dass diese Gratiszeitungen Auflagen hochmanipulieren?
Wenn irgendwo ein Stand einer Tageszeitung steht, dann ist es nicht unnormal, dass man da eine Abowerbung vermutet. Ergo wehrt man auch Angebote ab, weil man ja kein Abo will. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass man mit Gratiszeitungen neue Leser gewinnen will, die Augsburger Allgemeine schickt Dir sogar zwei Wochen die Zeitung gratis zu. Werbekunden wollen im übrigen belastbare Zahlen von unabhängiger Seite , da werden Abos und Verkäufe auf dem Zeitungsmarkt erfasst, ebenso die Remittenten.
Ich sagte ja auch nicht, dass ich das selbst schon gesehen hätte, sondern nur, dass das gerade gerüchtet wird. Gut vorstellbar ist es jedenfalls.
Du willst doch nicht die Grundtendenz abstreiten, dass das so nicht mehr lange weitergehen kann? Alle großen Zeitungen verlieren an Auflage, außer dem Tagesspiegel. Und die Verluste sind dramatisch, und es geht schon sehr lange so.
Die Bild ist ja immer ein guter Indikator. Zuletzt waren es noch ganz knapp über 1,5 Millionen Exemplare, die sie noch an den Mann brachten. Das ist ein Einbruch von 64,4 % seit 1998. 1998 war aber noch nicht das All-Time-High. Denn 1979 waren es noch fast 5,8 Millionen. Die Bild ist in der Auflage natürlich volatiler als andere Zeitungen, weil sich die Bild praktisch nur am Kiosk verkauft, nicht über Abos. Abonniert ist bei manchen Leuten allenfalls die BamS. Und wenn man sich die Geschichte ganz genau anschaut, dann ist es so, dass der Verlag seit irgendeinem Stichtag auch die Auflage der BamS und anderer Ableger in die Bild-Auflage mit reintrickst. Es sind also in Wirklichkeit noch weniger als die 1,5 Millionen.
Interessant ist auch die Entwicklung von z.B. 1988 bis 1998, wenn man schon mal dabei ist. Da hätte eigentlich 1990 bei so einer überregionalen Tageszeitung wie der Bild die Auflage einen sichtbaren Sprung in die Höhe machen müssen, weil ja im Osten ein großer Markt über Nacht dazukam. Die hergebrachten Ost-Zeitungen galten ja zum diesem Zeitpunkt als unglaubwürdig. Es sollte da also ein Vakuum gegeben haben, das perfekt für ein Blatt wie die Bild geeignet wäre, um darin vorzustoßen. Sollte man meinen. Davon sieht man aber in der Statistik gar nix. Die Auflage hat sich durch die Wiedervereinigung überhaupt nicht gesteigert, sie stagnierte in diesen zehn Jahren ganz einfach.
Das ist also dramatisch, was da in den letzten Jahrzehnten passiert ist, das kannst du doch nicht abstreiten. Es gab einen kontinuierlichen Rückgang der Printauflagen, eine Abwärtstendenz. Das summiert sich über Jahre und Dekaden natürlich auf, wenn es immer so weitergeht. Und selbst, wo es bei einem geeigneten Beispiel eine wenigstens kurzfristige Steigerung der Auflage hätte geben müssen, gab es nur eine Stagnation.
Ich finde die Frage also durchaus berechigt, wie lange das noch durchzuhalten ist. Und was das mit dem Journalismus macht. Über zwei Schienen.
Die eine ist das Diktat, das der Journalist von seinen Vorgesetzten kriegt. "Die da oben" haben natürlich angesichts der dramatischen Auflagenrückgänge panische Angst vor einer Fortsetzung dieser Entwicklung und werden wohl deshalb nirgends anecken wollen mit einer besonders linken oder rechten Meinung in einem Meinungsartikel. Das ist das eine, dass es in den Redaktionen möglicherweise mehr oder weniger ausdrückliche Anweisungen gibt, einen mittigen Kurs einzuhalten, der natürlich das Blatt nicht unbedingt interessanter macht.
Die andere Schiene ist die "Schere im Kopf" des prekär beschäftigten Journalisten. Der gar keine solche Anweisung braucht, sondern selbst ein Interesse daran hat, "nicht anzuecken". Der schreibt schon von sich aus nur in einem ganz engen mittigen Korridor, nur damit er seinen schlecht bezahlten, unsicheren Job behält.
Aber so ist das halt. Sie haben die Agenda 2010 ja alle so bejubelt. Sie geradezu herbeigeschrieben. Der Kahlschlag des Sozialstaats konnte manchem Kommentator gar nicht kahl genug ausfallen. Am besten erst mit Agent Orange entlauben und dann die kläglichen Reste noch mit Napalm anzünden. Der auch im Oberstübchen etwas minderbemittelte "Florida-Rolf " war der instrumentalisierte Protagonist in einer dieser Hetzkampagnen. Jetzt merken sie, wie das ist, wenn die Folgen den eigenen Beruf und das eigene Leben betreffen. Mitleid darf man keines haben mit diesem Berufsstand.
Und ob diese Wechselwirkung den Niedergang nicht noch beschleunigt. Weil so ein mittiges Geschwafel in Zeiten großer Koalitionen und ständiger politischer Mitte in allen Fragen nur noch mehr langweilt.
Nicht nur die Parteien sind immer weiter in die Mitte gerückt. Auch die Zeitungen sind sich immer näher gerückt und haben sich in einer ideologischen "Mitte" versammelt. Früher galt die SZ mal als "links" im Sinne von sozialdemokratisch, auf so einen Gedanken käme man heute beim Lesen gar nicht mehr, wenn man es nicht zufällig noch wüsste.
Andersrum war natürlich auch die Bild früher lesenswerter, als es noch gegen langhaarige, ungewaschene Bombenleger ging. Das ist heute irgendwie witzlos, wenn sie da drin nur noch das Dschungelcamp und diese österreichische Eurovisionssängerin mit Bart gut finden, wie hieß er, sie oder es doch gleich... Conchita Wurst, sagt Tante Google. Ich mein, wozu soll ich mir die Bild kaufen, wenn die Conchita Wurst interessant finden und sich nicht wie früher über "so jemanden" schön künstlich aufregen? Da fehlt doch dann die Bild-Experience, wenn die nicht mehr stramm rechts und erzkonservativ sind.
Ausgerechnet das "Neue Deutschland" ist noch relativ lesbar. Bzw. wieder oder erstmals. Denn wenn es natürlich noch immer stalinistische DDR-Propaganda verbreiten würde, könnte es das gar nicht mehr tun. Denn dann wäre es längst tot. Das ist, auch in der Online-Version, zu einer ernstzunehmenden Tageszeitung geworden. Natürlich mit einer eindeutigen Tendenz zu Linken Positionen (absichtlich groß geschrieben). Aber davon schrub ich ja, dass die anderen Zeitungen fast alle so austauschbar und langweilig geworden sind, weil sie sich erkennbare Mühe geben, eine möglichst "mittige" Mehrheitsmeinung (oder was man in der Redaktion dafür hält) wiederzugeben.
Goethe hat mal sinngemäß geschrieben, dass wer es beim Schreiben jedem rechtmachen will, am Ende keinen zufriedenstellt. Natürlich hat er das eleganter ausgedrückt als ich und gereimt war es bei ihm glaub ich auch. Aber das ist inhaltlich so ungefähr des Pudels Kern.