05.01.2017, 17:38
In der SZ vom 29.12. wurde ein sehr interessantes Interview ("Neue Chancen") mit der Politologin Chantal Mouffe veröffentlicht. Leider ist das Interview im Netz nicht frei verfügbar. Einige ihrer Thesen, die manchem hier gefallen werden und anderen weniger:
In einem Interview mit dem österreichischen Standard führt sie das noch expliziter aus:
"Das System der Mitte kollabiert"
Zitat:Die Deindustrialisierung in Europa hat die Arbeiterklasse von den positiven Effekten der Globalisierung nicht profitieren lassen. Die Sozialdemokraten aber haben in den letzten Jahrzehnten allesamt den Standpunkt bezogen, es gäbe keine Alternative mehr zum neoliberalen Kapitalismus und zur Globalisierung. Da ist es nicht erstaunlich, dass für ihre ehemaligen Wähler rechtspopulistische Parteien attraktiv werden, deren zentrales Argument ist, sie seien die einzige Alternative zum System.
(…)
Ich behaupte, dass die westliche Demokratie aus zwei Traditionen besteht. Zum einen die politisch liberale Tradition, Gesetzesherrschaft, Gewaltenteilung, individuelle Freiheit. Auf der anderen Seite die Tradition der Demokratie mit ihrer Vorstellung von Volkssouveränität und Gleichheit. Diese beiden Prinzipien sind aber keine Einheit. Vielmehr besteht eine grundsätzliche Spannung zwischen perfekter Freiheit und perfekter Gleichheit. Der Neoliberalismus wurde nun zuletzt derart dominant, dass alles in unserer Demokratie, das mit Gleichheit und Volkssouveränität zu tun hatte, ausgelöscht wurde.
(…)
Leider ist die Sozialdemokratie im selben Moment kollabiert wie das sozialistische Staatsmodell und hat sich selbst impotent gemacht. Sie ließen sich von ihrem politischen Gegner aufsaugen. Deswegen steckt sie in einer existentiellen Krise. Das Verwischen der Grenzen zwischen rechts und links, das die Sozialdemokraten als Errungenschaft feierten, ist eben genau das Gegenteil: ein Desaster für die Demokratie, in der es ohne Gegner und Alternativen zu keiner produktiven Meinungsbildung kommt.
In einem Interview mit dem österreichischen Standard führt sie das noch expliziter aus:
Zitat:Politik muss parteiisch sein, sie muss Grenzen schaffen zwischen "uns" und "denen". Natürlich können diese Frontlinien ganz verschieden verlaufen. Manche sind sehr negativ für Demokratien, andere gut, weil sie fortschrittliche Veränderungen fördern. Populistische Politik konstruiert diese Fronten zwischen dem Volk - im Sinn vom griechischen Demos - und dem Establishment. Aber das Volk kann man natürlich rechts oder links definieren. In Frankreich kreiert etwa Marine Le Pen das Volk als "die guten eingeborenen, biologischen Franzosen". Die "anderen" sind die Migranten. Bei den Linken ist das freilich anders. Hier sind die Migranten Teil der Arbeiterklasse, Teil des "wir", die Gegner sind zum Beispiel große multinationale Konzerne.
Ich bin überzeugt, dass der Linkspopulismus im Moment der einzige Weg ist. Das System der Mitte kollabiert. Und man darf das Feld auf keinen Fall den Rechtspopulisten überlassen.
"Das System der Mitte kollabiert"