(11.03.2018, 16:04)leopold schrieb: Es kommt mit derzeit faktisch ca. 200.000 Menschen eine Zahl nach Deutschland, die absolut verkraftbar ist. Ein Teil davon wird bleiben, ein Teil wird wieder gehen. Das ist schon seit Jahrzehnten so und Deutschland ist immer gut damit gefahren. 2015 war eine Ausnahmesituation, die sich sicher nicht mehr wiederholen wird. Trotzdem war es gut, dass Deutschland damals ein freundliches Gesicht gezeigt hat. Eines der reichsten Länder der Welt konnte sich der damaligen Krise nicht einfach verweigern und die Probleme im benachbarten Ausland abladen.
1) Aber die Flüchtlinge wollte man dann schon "legal" via EU-Abkommen im EU-Ausland verteilen, ohne die anderen Mitgliedstaaten vor der Grenzöffnung wenigstens konsultiert zu haben.
2) Kein anderes reiches und demokratisches Land der Welt hätte fast ein halbes Jahr lang Flüchtlinge unkontrolliert ins Land gelassen, aus gutem Grunde. Das hat überhaupt nichts mit "sich nicht verweigern können" zu tun. Das war kein freundliches Gesicht, das Deutschland gezeigt hat, sondern eines, das Hilflosigkeit, Verzagtheit und grenzenlose (wie passend!) Naivität signalisiert hat, für nicht wenige Flüchtlinge sogar Dümmlichkeit.
3) Ich glaube, weder Sie noch Frau Merkel noch andere Bundespolitiker und schon gar nicht der "gemeine" Wähler können beurteilen, was verkraftbar ist. Es fehlen dazu nämlich einfach belastbare Informationen.
Gefühlt und nach der Stimmung unter den Wählern zu urteilen allerdings kann man annehmen, dass es mit der Belastbarkeit so ziemlich vorbei ist. Man sollte nicht noch weiter am Rad drehen. Das müssen auch die SPD, die Grünen und die Linke so langsam, am besten aber schnellstmöglich, kapieren.
Wolfgang Merkel , SPD-nah und Professor an der Humboldt-Universität Berlin, schreibt
im "Freitag" :
Zitat:Die hilflose Entscheidung der freiwilligen Helfer in Essen zeigt die problematische Kreuzung und Überlappung der Konfliktlinien zwischen links/rechts und Kosmopolitismus/Kommunitarismus. Die Kosmopoliten optieren für offene Grenzen für Waren, Dienstleistungen und Kapital, aber auch für Asyl-, Wohlstand- und Arbeitsuchende oder Geflüchtete. Sie treten zudem für durchlässige Grenzen hinsichtlich nationalstaatlicher Rechte und Pflichten ein. Eine Abgabe nationaler Kompetenzen an supranationale Organisationen wie die EU halten sie für legitim oder gar für geboten, weil sie sich davon effizientere Problemlösungen erwarten. Eine empirisch belastbare Basis hat diese Erwartung bisher allerdings weder im Klimaschutz, in der Flüchtlingspolitik, der Armutsbekämpfung noch in der internationalen Friedenssicherung gefunden.
Kosmopoliten sind meist gut gebildet, beziehen überdurchschnittliche Einkommen und sorgen sich um privilegierte Bildungschancen für ihre Kinder. Sie sind die Globalisierungsgewinner unserer Gesellschaften. An Tafeln findet man sie nicht. Vermutlich auf keiner Seite der Ausgabe. Das hindert sie nicht, den Helfern in Essen Moralmaximen anzusinnen.
Kommunitaristen haben eine Neigung zur Kontrolle, bisweilen zur Schließung der Grenzen. An Trickle-down-Effekte des Wachstums durch grenzenlose wirtschaftliche Transaktionen wollen sie nicht mehr glauben, wohl mit Recht. Nicht nach drei Jahrzehnten zunehmender Ungleichheit und Armut im Schatten einer entgrenzten Welt ökonomischer Transaktionen. Dem diffusen „Wir schaffen das“ konnten sie nie etwas abgewinnen. Sie sind auf stabile Kontexte, Nachbarschaft und Gemeinschaft angewiesen. Der Wunsch nach kontrollierten Grenzen wie maßvoll kontingentiertem Zuzug von Immigranten muss daher keineswegs aus einer nationalistischen und rassistischen Gesinnung rühren. Die reflexartig vorgetragene Empörung aus den Quartieren mit besseren Einkommen erzeugt deshalb in Essen und anderswo einen bitteren Geschmack.