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Die Linke und der Nationalismus
#1

Ein interessantes Thema, insbesondere vor dem Hintergrund der anstehenden Bundestagswahl. Die Linke ist hier auf einem Irrweg und muss erst noch zu einer Position finden, die sie mit SPD und Grünen koalitionsfähig macht:


Zitat:Nach dem Showdown in der Griechenland-Krise haben sich die europäischen Linken auf das Feindbild EU geeinigt. Sie fordern nationale Lösungen – so wie die extreme Rechte.
Am Ende haben sie zwar die Internationale gesungen, die Mitglieder der französischen Linkspartei, die sich am vergangenen Wochenende in Toulouse trafen. Mit erhobener Faust, wie es sich gehört, auf zum letzten Gefecht. Dabei hatte ihr Parteichef zuvor keine Gelegenheit ausgelassen, dem real existierenden Internationalismus – der Europäischen Union – den Kampf anzusagen. Frankreich sei keine "unabhängige Nation" mehr , so Jean-Luc Mélenchon. Das französische Volk müsse wieder selbst entscheiden: "Vor der Wahl zwischen dem Euro und der Souveränität, entscheiden wir uns für die Souveränität!"
In Teilen der europäischen Linken radikalisiert sich der Diskurs , seit Alexis Tsipras im Juli einem neuen Hilfsprogramm und damit verbundenen Auflagen zugestimmt hat. Es entsteht ein linker Nationalismus, der die EU als kalte Vollstreckerin eines grenzenlosen Neoliberalismus anprangert.
Nicht nur der Vorsitzende der französischen Linkspartei spricht so. Auch die Deutsche Sahra Wagenknecht hat die jüngste Griechenlandentscheidung zum Anlass genommen, die EU grundsätzlich infrage zu stellen. Alles deute darauf hin, so die designierte Fraktionsvorsitzende der Linken, "dass es immer mehr Integrationsschritte gibt, die jede nationale Souveränität erledigen".

Die Linken entdecken den Nationalismus 
#2

(19.03.2017, 18:38)bbuchsky schrieb:  Der Internationalismus ist kein "hohler Begriff", er ist eine Zwangsläufigkeit.
Jedenfalls in dem Fall, in dem wir uns über diese Kultur der Schützenkönige und Vorgartenzwerge hinaus gesellschaftlich und kulturell weiterzuentwickeln gedenken. Wenn es nur darum geht, dem bisherigen Zyklus von Krieg und Zerstörung mit kurzen Phasen des Friedens anzuhängen, dann, bitteschön, weiter so.

Ich mache mal hier einen Schnitt, weil es zu lästig ist, ständig Allgemeinplätze abzusondern, und verlange vom Foristen den Einsatz seiner Phantasie.

Szenario:
Nasa entdeckt Kometen in der Größe Kubas, Kurs Erde.

Nach den Prämissen, die der "Knauß" in seinem Pamphlet betont sehen möchte, werden wir die Zeit bis zum Einschlag mit Debatten verbringen, weil wir uns erst über die gemeinsamen Interessen verständigen müssen, und zuletzt scheitert jeder Plan, weil wir nicht ein Fluchtraumschiff bauen müssen, sondern 200. "Mit denen reise ich nicht!" 

Glaubt denn irgendwer, dass sich das Zusammenleben und die Angleichung der Verhältnisse ohne ein Miteinander realisieren läßt? Die Kultivierung der Differenz kann kaum Grundlage für die nötige Verständigungsbereitschaft bieten.

Zu Deiner "Identität", Serge. Ist das etwa kein hohler Begriff? Warum sollte man die in der Kindheit zur Persönlichkeitsbildung erdachten Abgrenzungen zu anderen zu seinem Lebensinhalt machen? Nachdem man weiss, wer man ist, sollte man versuchen, an der Herstellung von Gemeinsamkeit zu arbeiten. Wer sich nur gut fühlt, wenn es anderen schlechter geht als ihm selbst, ist charakterlich nicht voll ausgebildet. Sich erheben zu müssen, etwa durch die Zugehörigkeit zu einer Religion oder einer Volksgruppe, um "Identität" zu empfinden, birgt den Keim zur Differenz.  
 
Nötig ist es, ein Bewußtsein für das Gemeinsame zu kultivieren, was auf Basis patriotischer Hysterie ebensowenig zu realisieren sein wird wie bei jeder anderen Form von Abgrenzung.

Es ist kein Komet notwendig. Die USA unter Trump oder die Chinesen mit ihrem Drang zur Expansion sind ausreichend Bedrohungen für die europäischen Staaten. Gäbe es die EU nicht schon, müsste sie nun schleunigst erfunden werden. Die Nationalstaaten haben keine Zukunft mehr.
#3

(19.03.2017, 18:47)leopold schrieb:  Es ist kein Komet notwendig. Die USA unter Trump oder die Chinesen mit ihrem Drang zur Expansion sind ausreichend Bedrohungen für die europäischen Staaten. Gäbe es die EU nicht schon, müsste sie nun schleunigst erfunden werden. Die Nationalstaaten haben keine Zukunft mehr.

So sehe ich das im Kern auch. Nur sollte berechtigte Kritik an der EU-Politik, die auch vielen in der EU und in der Welt schadet, nicht unter den Teppich gekehrt werden (Stichworte: Agrarsubventionen, Lobbyismus etc.).

Die "Vereinigten Staaten von Europa" rücken allerdings in weite Ferne angesichts des steigenden Rechtspopulismus, da es nicht gelungen ist, wenigstens gleiche Sozialstandards und gleiche Rechte für alle EU-Bürger zu verwirklichen, sondern eben fast ausschließlich auf eine Wirtschafts-Union gesetzt wurde.

Die Lösung hier wird auf keinen Fall von einzelnen Nationalstaaten mit Abschottung möglich sein. Das Gefälle würde sich nur vergrößern und die Ärmsten der Armen haben dann die Rechnung  zu begleichen.
#4

(19.03.2017, 19:04)EvaLuna schrieb:  So sehe ich das im Kern auch. Nur sollte berechtigte Kritik an der EU-Politik, die auch vielen in der EU und in der Welt schadet, nicht unter den Teppich gekehrt werden (Stichworte: Agrarsubventionen, Lobbyismus etc.).

Die "Vereinigten Staaten von Europa" rücken allerdings in weite Ferne angesichts des steigenden Rechtspopulismus, da es nicht gelungen ist, wenigstens gleiche Sozialstandards und gleiche Rechte für alle EU-Bürger zu verwirklichen, sondern eben fast ausschließlich auf eine Wirtschafts-Union gesetzt wurde.

Die Lösung hier wird auf keinen Fall von einzelnen Nationalstaaten mit Abschottung möglich sein. Das Gefälle würde sich nur vergrößern und die Ärmsten der Armen haben dann die Rechnung  zu begleichen.

Die Lösung dürfte tatsächlich im neuerdings wieder stärker propagierten Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten liegen. Deutschland und Frankreich müssen vorangehen und dann kann folgen, wer will.
In Zukunft muss den Mitgliedsländern auch deutlicher gemacht werden, dass es finanzielle Unterstützung nur dann gibt, wenn demokratische Grundwerte auch gelebt werden und nicht nur pro forma in der Verfassung stehen.
#5

Bei dieser Gelegenheit möchte ich gerne auf eine interessante Debatte hinweisen (was ich schon längst tun wollte):


Zitat:The European Republic is under construction

Die Europäische Republik ist eine EUtopie (Griechisch εὖ  “gut” und τόπος  “Ort”) für eine demokratische Zukunft in Europa: Eine Republik, die den politischen Gleichheitsgrundsatz für alle Bürger*innen Wirklichkeit werden lässt. Das Gemeinwohl, res publica, dient hierbei als Leitprinzip einer zukünftigen europäischen Ordnung.
Obwohl diese Vision in Zeiten konstanter Krise utopisch erscheint, wollen wir eine Debatte jenseits des derzeitigen öffentlichen Diskurses eröffnen. Diese soll EU-zentrisches Vokabular einerseits und wachsende Nationalisierungstendenzen andererseits überwinden. Wir wollen echte Alternativen diskutieren.
Es gibt einen Plan B für Europa: die Europäische Republik. Wir sind überzeugt, dass sich unser Kontinent in einen postnationalen, wahrlich demokratischen und gerechteren Ort entwickeln kann. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es uns, europäische Bürger*innen. Alle Generationen und deren gesammelte Erfahrungen können und sollen an diesem Prozess teilhaben. Treten Sie mit Ihren Mitmenschen in Dialog, diskutieren Sie echte Alternativen für die Zukunft europäischer Politik, Wirtschaft und unserer gemeinsamen Gesellschaft!


http://www.european-republic.eu/de/ 


Ulrike Guérot ist eine kluge Frau. Es lohnt sich, sich auch mal mit Alternativen zu beschäftigen anstatt immer nur zu jammern.
Ich habe mal einen Vortrag von ihr gehört und fand das hochinteressant. Im Netz gibt es genügend Material.


Zitat:Ulrike Beate Guérot (* 1964  in Grevenbroich [1] ) ist eine deutsche Politikwissenschaftlerin und Publizistin. Sie ist Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung an der Donau-Universität Krems ,[2]  Gründerin und Direktorin des „European Democracy Lab“ (EDL) Berlin, und beschäftigt sich mit der Zukunft der europäischen Demokratie . Das „Mission Statement“ des European Democracy Labs ist die Verwirklichung eines Europas auf dem Grundsatz der allgemeinen politischen Gleichheit aller europäischen Bürger  sowie die Ausgestaltung einer europäischen Demokratie, die dem Prinzip der Gewaltenteilung  entspricht.....

Im April 2013 veröffentlichte sie mit Robert Menasse  ein Manifest zur „Gründung einer Europäischen Republik“.[6]  Das Manifest ist verknüpft mit einem Aufruf für ein anderes Europa[ 

https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrike_Gu%C3%A9rot 
#6

und hier die Fakten was die Linke mit der EU vor hat. 
#7

(19.03.2017, 18:47)leopold schrieb:  Es ist kein Komet notwendig. Die USA unter Trump oder die Chinesen mit ihrem Drang zur Expansion sind ausreichend Bedrohungen für die europäischen Staaten. Gäbe es die EU nicht schon, müsste sie nun schleunigst erfunden werden. Die Nationalstaaten haben keine Zukunft mehr.

War ja nur ein Aufhänger.

Gerade diese "Identität" möchte ich nochmal anreißen. Wer sich über seinen Glauben oder seine Nationalität definiert, steht für mich in dringendem Verdacht, überhaupt keine Identität zu haben.
Beides fällt einem nicht durch eigene Bestrebung zu, ist letztlich einem Zufall geschuldet.

Bei den Nationalstaaten bin ich ganz bei Ihnen. Der Drops ist gelutscht, alle nationale Hysterie dient letztlich dazu, Unterschiede herzustellen oder zu vergrößern, den Konflikt zur politischen Maxime zu erklären.
Gut für Waffenhersteller, schlecht für die Menschheit und eine Katastrophe für die Umwelt.
#8

(19.03.2017, 18:35)leopold schrieb:  Ein interessantes Thema, insbesondere vor dem Hintergrund der anstehenden Bundestagswahl. Die Linke ist hier auf einem Irrweg und muss erst noch zu einer Position finden, die sie mit SPD und Grünen koalitionsfähig macht:



Die Linken entdecken den Nationalismus 

Nicht nur die extreme Linke oder die extreme Rechte entdeckt den Nationalismus.

Der Nationalismus ist da, ist präsent - war nie weg.

Warum ist denn die EU zerstritten wie noch nie? Warum hat man größte Probleme Problem zu lösen und wenn, dann mit einem Nano-Nenner?

Jedes Mitgliedsland sagt doch: "my country" first. Und das wird sich auf unabsehbare Zeit nicht ändern, vermutlich nie.

Eine weitere Tendenz der letzten 20 Jahre ist doch das Selbständigkeitsstreben bzw. die Abspaltungswünsche von einem "Vaterland". Sei es der Zerfall Jugoslawiens, seien es die Basken, die Kurden - alle wollen eine eigene Nation.
#9

(19.03.2017, 19:50)bbuchsky schrieb:  War ja nur ein Aufhänger.

Gerade diese "Identität" möchte ich nochmal anreißen. Wer sich über seinen Glauben oder seine Nationalität definiert, steht für mich in dringendem Verdacht, überhaupt keine Identität zu haben.
Beides fällt einem nicht durch eigene Bestrebung zu, ist letztlich einem Zufall geschuldet.

Bei den Nationalstaaten bin ich ganz bei Ihnen. Der Drops ist gelutscht, alle nationale Hysterie dient letztlich dazu, Unterschiede herzustellen oder zu vergrößern, den Konflikt zur politischen Maxime zu erklären.
Gut für Waffenhersteller, schlecht für die Menschheit und eine Katastrophe für die Umwelt.

Kürzlich war in der Print-Ausgabe der SZ ein Artikel des Soziologen Stephan Lessenich ("Der Phantomschmerz des Wohlstandsbürgers") zu lesen, der das derzeitige "Unbehagen breiter gesellschaftlicher Schichten" näher analysierte und zu folgendem Ergebnis kam:

 
Zitat:Martin Schulz ist der Hoffnungsträger all jener, die den Gesellschaftsvertrag der deutschen Nachkriegsrepublik in Gefahr sehen - oder vielleicht eher spüren, dass dieser Vertrag vom bisherigen Personal, namentlich von Bundeskanzlerin Angela Merkel, nicht mehr erfüllt werden kann. Dieser geheime Sozialvertrag der Wohlstandsrepublik Deutschland lässt die in mehr oder weniger kapitalismuskritisch gestimmten Kreisen gängig gewordene Rede von den "99 Prozent" (oder auch "dem Volk"), das von dem "einen Prozent" (wahlweise auch den obersten 0,1 Prozent oder den acht reichsten Männern der Welt) kurzgehalten und ausgenommen werde, in einem etwas anderen Licht erscheinen.

Das Kleingedruckte dieses Vertrags lautete in etwa so: Ihr, die politischen und ökonomischen Funktionseliten dieser Gesellschaft, dürft uns, die besitzlosen, aber mit dem allgemeinen Wahlrecht ausgestatteten Massen, im Betrieb und über das Parlament beherrschen, soweit und solange ihr für permanentes Wachstum und steigende Konsummöglichkeiten, ein wenig Umverteilung und die Aussicht auf sozialen Aufstieg für uns und unsere Kinder sorgt.
Und, so der wichtige Zusatzartikel zu diesem Vertrag auf Gegenseitigkeit, wenn ihr die Kosten dieses Arrangements von uns fern und uns dessen Nebenwirkungen vom Halse haltet: nämlich die für ökonomisches Wachstum notwendige Naturzerstörung, die trotz Umverteilung verbleibende Armut, das Wissen um die Gründung hiesigen Wohlstands auf der harten Arbeit von Menschen anderswo auf der Welt, die Aufstiegswünsche auch dieser Menschen für sich selbst und ihre Kinder. Wer heute von der "Abstiegsgesellschaft" und ihren Sorgen redet, sollte von den Voraussetzungen und Funktionsbedingungen der Aufstiegsgesellschaft, in Deutschland wie im Rest der westlichen Nachkriegswelt, nicht schweigen.

So wie die Bürger der vermeintlich ehemaligen Aufstiegsgesellschaft nicht länger darüber schweigen, dass "die Eliten" offenbar nicht mehr oder jedenfalls zunehmend weniger in der Lage sind, ihren Teil des Gesellschaftsvertrags zu erfüllen. Wenn die Wachstumsraten niedrig sind und die Aufstiegschancen gering, wenn für die Energiewende (und angeblich auch noch für Griechenland) gezahlt werden muss und die von der westlichen Wohlstandswelt Ausgeschlossenen an die Tür klopfen, wenn dann auch noch die Chinesen deutsche Firmen aufkaufen und die Türken uns auf der Nase herumtanzen - dann zürnen die Massen ihrem einen Prozent. Und dann wird auch das eine Prozent unruhig: Dann sprechen Professoren und Wirtschaftsinstitute plötzlich davon, dass zu viel Ungleichheit im Lande ökonomisch dysfunktional und sozial schädlich ist, dann dekretieren grüne Ministerpräsidenten, dass Kriegsgebiete sichere Herkunftsländer sind. Und die  SPD  präsentiert Martin Schulz als Kanzlerkandidaten.
Wenn in Deutschland die gerade hierzulande viel beschworene "Angst" herrscht, dann nicht, jedenfalls nicht außerhalb der in der Tat wachsenden Armutsmilieus, die Angst vor dem sozialen Abstieg oder davor, unmittelbar ums materielle Überleben kämpfen zu müssen.

Die deutsche Angst, oder sagen wir treffender: das Unbehagen breiter gesellschaftlicher Schichten ist ein anderes, und es reicht viel tiefer. Es ist das unbestimmte Gefühl, dass sich die Zeiten radikal wandeln, dass die Voraussetzungen der eigenen Lebensweise nicht mehr gesichert sind, dass die "gute alte Zeit" der ungeheuren Privilegierung der westlichen Wohlstandsgesellschaft im Weltmaßstab zu Ende geht - und nicht wiederkehren wird. Es ist die Ahnung, dass der Gesellschaftsvertrag des wohlstandskapitalistischen Zeitalters nicht mehr aufrechtzuerhalten ist - weder von Angela Merkel noch von Martin Schulz. Aber man kann es ja mal mit einem anderen probieren.

Es ist dieses Unbehagen an der Gegenwart, diese böse Ahnung, dass das Beste vorbei ist und die Zukunft - und zwar nicht nur für die eigenen Kinder - nichts Gutes mehr verheißt, die den Erfolg rechtspopulistischer Bewegungen, vor allem aber die Verbreitung sozialchauvinistischer Einstellungsmuster bis weit in die ökonomisch gesicherten Mittelschichten hinein verständlich machen. Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, Fremdenhass und Exklusionslust sind nicht "als eine Art politische Notwehr der unteren Schichten" zu verstehen, wie das von Wagenknecht der deutschen Volksvertretung zum Besten gegebene Eribon-Zitat behauptet - jener unteren Schichten, die versuchten, so geht das Zitat weiter, "ihre kollektive Identität zu verteidigen".

Was wir erleben, ist eine Art politische Notwehr einer Wohlstandsgesellschaft, deren kollektive Identität an eben ihrem Wohlstand und der Sorglosigkeit seines Genusses hängt: mit ein wenig Gerechtigkeit nach innen und vor allen Dingen ungestört von außen. Den Phantomschmerz des deutschen Wohlstandsbürgertums wird der Rückkehrer aus Brüssel womöglich kurzfristig heilen können. Langfristig aber gilt für die Wohlfahrtsgesellschaft genau das, was ihr derzeit auch Martin Schulz noch nicht predigen mag: ihren Wohlstand ernsthaft mit anderen zu teilen.
#10

(19.03.2017, 20:17)_solon_ schrieb:  Jedes Mitgliedsland sagt doch: "my country" first. Und das wird sich auf unabsehbare Zeit nicht ändern, vermutlich nie.

Eine weitere Tendenz der letzten 20 Jahre ist doch das Selbständigkeitsstreben bzw. die Abspaltungswünsche von einem "Vaterland". Sei es der Zerfall Jugoslawiens, seien es die Basken, die Kurden - alle wollen eine eigene Nation.

Das ist so nicht richtig: Der Nationalismus ist in den alten EU-Staaten nach wie vor nur eine Randerscheinung; Mainstream ist er nur in Staaten wie Polen oder Ungarn, die glauben, nun sei die Zeit gekommen sich an den Fleischtöpfen zu bedienen, aber sonst weiterzumachen wie vor dem EU-Eintritt. Das hat bei den Polen v. a. mit ihrer Geschichte und ihrer Opferhaltung zu tun, in Ungarn wohl eher mit der Person Orban.
Innerhalb der EU gibt es kaum Abspaltungswünsche von Minderheiten mehr. Die jahrzehntelangen Konflikte in Südtirol oder im Baskenland waren zuletzt so gut wie eingeschlafen. Auch die Schotten wollten lieber in GB bleiben. Das sieht nach dem Brexit nun möglicherweise anders aus.
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